FPÖ erstmals auf Platz eins, die „Gründerparteien“ ÖVP und SPÖ deutlich geschwächt: Nach dem historischen Wahlausgang am Sonntag, der eine Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik darstellt, bleibt abzuwarten, wie die Suche nach einer tragfähigen Regierung verlaufen wird. Angesichts der Ausgangslage könnte sie länger dauern. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem die Verfassung viel Spielraum einräumt, hat vorerst Gespräche mit allen Parteien angekündigt.

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Die Ausgangslage ist nach der Papierform eher schwierig: Der klare Wahlsieger FPÖ hat angesichts der ebenso klaren Absagen von SPÖ, NEOS und Grünen nur die Option ÖVP. Diese schließt aber weiter eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl – nicht aber mit der FPÖ – aus. Auch wenn die ÖVP eine explizite Festlegung, was das exakt bedeutet, vermeidet: Ein Kanzler oder Minister Kickl ist für die Volkspartei damit wohl ausgeschlossen.

Die ÖVP hat trotz des großen Verlusts die meisten Optionen: mit der FPÖ, sollte Kickl – ähnlich wie Jörg Haider 2000 – auf einen Eintritt in die Regierung verzichten; eine Zweierkoalition mit der SPÖ mit der hauchdünnen Mehrheit von zwei Mandaten; eine Dreierkoalition mit SPÖ und NEOS oder Grünen, auch wenn Letzteres derzeit als unwahrscheinlich gilt. SPÖ, NEOS und Grüne haben ihrerseits jeweils nur die Option Volkspartei.

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Hypotheken abbauen, Vertrauen aufbauen

In jedem Fall wird es im Vorfeld vieler Klärungen bedürfen – sowohl der potenziellen Koalitionspartner untereinander als auch mit bzw. gegenüber dem Bundespräsidenten. Ebenso wichtig dürften die Parteiengespräche auch für einen Vertrauensaufbau sein. Denn egal welche Konstellation: Die Erfahrungen der Vergangenheit werden dabei mindestens so sehr als Hypothek empfunden wie als Grundlage, auf der aufgebaut werden kann. Das gilt für ÖVP-SPÖ ebenso wie für FPÖ-ÖVP. Auch im Falle mangelnder Erfahrungswerte – etwa von NEOS in einer Bundesregierung – gilt es, diese durch Verhandlungen besser einschätzen zu lernen.

Koalitionsverhandlungen dauern im Schnitt 60 Tage

Die Politologin Karin Praprotnik sagte Montagfrüh im Ö1-Interview, dass die Regierungsbildung in Österreich im langjährigen Durchschnitt „gut 60 Tage“ dauert. Sie vermutete, dass es diesmal länger dauern könnte, wenn etwa potenzielle Sondierungsgespräche scheitern sollten und dann mit einer anderen Variante von vorne begonnen werden muss.

Die ÖVP, die als einzige Partei mehrere Optionen hat, könnte freilich auch parallel Gespräche führen – wie sie das auch 1999/2000 tat, als sie als drittstärkste Kraft mit Wolfgang Schüssel schließlich den Kanzler stellte. Schüssel verhandelte damals offiziell mit der SPÖ, nach dem Scheitern der Gespräche kam es so rasch zur Einigung mit der FPÖ, dass klar war, dass parallel im Hintergrund verhandelt worden war. Verhandlungstaktisch auch verständlich, da das die eigene Position in Verhandlungen stark verbessert.

Außerdem stehen schon demnächst zwei Landtagswahlen an: in Vorarlberg am 13. Oktober, in der Steiermark am 24. November. Dabei kämpft die ÖVP jeweils um den Landeshauptmannsessel, das macht eine Festlegung der ÖVP vor dem 24. November zusätzlich unwahrscheinlich.

© ORF | Wahlergebnisse auf Gemeindeebene

Van der Bellen wird mit Parteichefs reden

Van der Bellen gab noch Sonntagabend nach dem Wahlausgang die Leitlinien bekannt, an denen er sich bei der Regierungsbildung orientieren will – und entsprechende Hinweise auch an die Parteien. Im Wesentlichen nannte er dabei ein persönliches Vertrauensverhältnis sowie ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie und ihren Institutionen und eine proeuropäische Ausrichtung.

Nach dem Formalakt der Entlassung der bestehenden Regierung und der Betrauung derselben mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte hat Van der Bellen am Freitag, den 4. 10. 2024 den Reigen erster Gespräche mit Parteichef Herbert Kickl begonnen.

Jabloner: Verfassung legt kein Prozedere fest

Der ehemalige Verwaltungsgerichtshofspräsident Clemens Jabloner – er hatte in der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein als Justizminister gedient – wies im Ö1-Interview auf die weitgehende Freiheit, die die Verfassung dem Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung einräumt, hin.

Einer Partei den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen sei eine Usance, das Vorgehen kenne die Verfassung aber genau genommen nicht. Der Bundespräsident müsse lediglich schauen, dass immer eine Regierung im Amt sei und dass er eine Regierung zusammenzubringe, „die im Nationalrat Bestand hat“, sprich: eine Mehrheit findet. Die Bundesverfassung von 1929 sei bewusst auch auf eine krisenhafte Situation angelegt worden, so Jabloner.

Bevor die Gespräche in der Hofburg beginnen, beraten die Parteien aber intern in ihren Gremien das Wahlergebnis und das weitere Vorgehen. Die SPÖ macht das am Montag, alle anderen am Dienstag. Praprotnik geht davon aus, dass die Parteien jedenfalls versuchen werden, bis Weihnachten eine Regierung zustande zu bringen.

Quelle: Nationalratswahl: Regierungsbildung könnte dauern – news.ORF.at | Nationalratswahl 2024 – news.ORF.at | Nationalratswahl 2024 – news.ORF.at

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